30. Juni 2024
Systemwechsel in Unikliniken: Eine Roadmap für erfolgreiche Großprojekte
Aktuell bewegt viele Unikliniken in Deutschland und Österreich ein großes Thema: die Abkündigung von SAP IS-H und die damit verbundenen Herausforderungen, vor denen zahlreiche Unikliniken nun in DACH stehen!
Die spezifische Branchenlösung von SAP ist in über 500 Krankenhäusern im DACH-Gebiet im Einsatz und wird dort für Abrechnungsprozesse sowie das Patientenmanagement verwendet. SAP IS-H ist ein Teil der SAP ECC Unternehmenssteuerung-Software. Ab 2027 wird die Standard-Wartung für die Software eingestellt, bis 2030 läuft der Support dann endgültig für SAP-ECC aus.
Für Außenstehende mag dies zunächst wie eine rein technische Angelegenheit klingen. Doch für die betroffenen Einrichtungen bedeutet es eine enorme Herausforderung. Warum? SAP IS-H (Industry Solution Health),für die Patientenadministration inkl. Patientenmanagement und -abrechnung, ist tief in die administrativen und klinischen Prozesse von Universitätskliniken integriert. Es unterstützt die Patientenaufnahme und -abrechnung – Abläufe, die nun innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne neu organisiert werden müssen.
Diese Umstellung betrifft nicht nur die technische Seite der IT-Systeme, sondern erfordert auch umfassende Ausschreibungsverfahren, eine sorgfältige Auswahl neuer Systeme und nicht zuletzt eine Neuausrichtung der internen Prozesse.
In diesem Artikel möchte ich die Ausgangslage der Unikliniken näher beleuchten, die Herausforderungen der Systemauswahl diskutieren und einen Einblick in die komplexen organisatorischen Strukturen geben, mit denen diese Institutionen konfrontiert sind. Zudem spreche ich Empfehlungen aus meiner eigenen Praxis mit Healthcare-IT-Großprojekten aus!
Wie sieht es derzeit aus an den Unikliniken?
Die Abkündigung von SAP IS-H hat für die Unikliniken weitreichende Folgen, da dieses System bislang eine zentrale Rolle in der Verwaltung und im Betrieb dieser Einrichtungen spielte. Der abrupte Wechsel zwingt die Kliniken, nicht nur neue Softwarelösungen zu finden, sondern auch ihre gesamten administrativen und klinischen Prozesse entsprechend anzupassen.
Bedeutung von SAP IS-H
SAP IS-H wurde speziell für den Krankenhausbereich entwickelt und deckt eine breite Palette von Funktionen für Patientenmanagement und -abrechnung ab. In Deutschland und Österreich nutzen viele Unikliniken dieses System, was seine zentrale Bedeutung unterstreicht. Mit der Abkündigung stehen diese Kliniken vor der Notwendigkeit, eine alternative Lösung zu finden, die nicht nur technisch gleichwertig ist, sondern auch den spezifischen Anforderungen eines großen Krankenhauses gerecht wird.
Druck durch die Abkündigung
Die von SAP gesetzte Frist für die Umstellung ist äußerst knapp bemessen. Laut einer Umfrage der DSAG (Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe) fühlen sich viele SAP-Anwender durch die kurze Umstellungsfrist unter Druck gesetzt. Diese knappe Zeitlinie stellt die Kliniken vor große Herausforderungen, da die Auswahl und Implementierung eines neuen Klinikinformationssystems (KIS) für Unikliniken normalerweise ein mehrjähriger Prozess ist, der nun innerhalb von kurzer Zeit bewältigt werden muss. Zudem ist die Umstellung nicht nur eine IT-Aufgabe, sondern eine umfassende organisatorische Veränderung und ein Großprojekt.
Herausforderungen bei der Auswahl neuer Systeme
Die Auswahl eines neuen Systems ist ein komplexer Prozess, der detaillierte Ausschreibungen und genaue Prüfungen der verfügbaren Optionen erfordert. Es geht hier weit über technische Spezifikationen hinaus. Das neue System muss auch in der Lage sein, die speziellen Prozesse und Dienstleistungen, die eine Uniklinik bietet, effektiv zu unterstützen. So sollte das System skalierbar und anpassbar sein, um den wechselnden Anforderungen einer großen Uniklinik mit vielen Kliniken gerecht zu werden. Ein weiteres Kriterium ist die Fähigkeit des Systems, mit anderen Plattformen und Systemen zu interagieren und sich nahtlos in die bestehende IT-Infrastruktur einzufügen.
Organisatorische Anpassungen
Auf organisatorischer Ebene erfordert die Umstellung eine umfassende Schulung aller Mitarbeitenden, von Ärzt:innen über Pflegepersonal bis hin zum Verwaltungsstab. Jede Gruppe hat spezifische Bedürfnisse und erfordert angepasste Schulungsansätze. Die Erstellung eines effektiven Schulungskonzepts, das alle Beteiligten erreicht und auf ihre jeweiligen Anforderungen und Ressourcen eingeht, ist entscheidend für den Erfolg der Umstellung.
Der komplexe Charakter von Unikliniken
Unikliniken sind nicht nur medizinische Einrichtungen, sondern auch Forschungs- und Lehrstätten. Dies gibt ihnen ein einzigartiges Profil mit speziellen Anforderungen an ihr Klinikinformationssystem. Sie sind komplexe Organisationen mit vielfältigen Abteilungen und Spezialgebieten. Jede Abteilung kann ihre eigenen, speziellen Anforderungen an das KIS haben, von der Art und Weise, wie Patientendaten gehandhabt werden, bis hin zu spezifischen Anforderungen für die medizinische Forschung. Die hohe Individualisierung bisheriger Systeme spiegelt die komplexen Bedürfnisse und Strukturen dieser Institutionen wider. Und genau dieser hohe Grad an Individualisierung erschwert nun die Umstellung- denn was es nun braucht, sind Standardisierung und klinikübergreifende Vorgaben.
Die Umsetzung eines neuen KIS ist kein kurzfristiges Projekt, sondern eine langfristige Investition, die sorgfältige Planung und erhebliche Ressourcen erfordert. Unikliniken müssen nicht nur die Anschaffungskosten berücksichtigen, sondern auch die langfristigen Betriebs- und Wartungskosten. Hinzu kommt der Bedarf an qualifiziertem Personal, das nicht nur das neue System implementiert, sondern auch das bestehende Personal schult und den Übergang unterstützt.
So stehen die Unikliniken gerade also vor einer Herausforderung, die weit über eine einfache Software-Migration hinausgeht. Sie müssen in kurzer Zeit eine umfassende organisatorische Transformation durchführen, die ihre Arbeitsweise tiefgreifend verändert. Dieses Großprojekt erfordert kluge Planung, strategische Entscheidungen und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, um eine reibungslose Transition und die Aufrechterhaltung des Betriebs zu gewährleisten.
Herausforderungen und strategische Ansätze in der Umsetzung von Großprojekten
Die Umstellung von einem Klinikinformationssystem auf ein anderes ist ein gewaltiges Unterfangen, das normalerweise nur alle 1-2 Jahrzehnte ansteht. Aktuell stehen jedoch viele Unikliniken vor der dringenden Notwendigkeit, diese Umstellung in einem ungewöhnlich schnellen Zeitrahmen durchzuführen. Diese groß angelegten Projekte erfordern eine detaillierte Planung und Koordination.
In großen KIS-Umstellungsprojekten für Unikliniken, die sich häufig über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren erstrecken, stehen wir vor gewaltigen organisatorischen Herausforderungen. Die Komplexität dieser Projekte verlangt nicht nur eine detailgenaue Planung in Phasen und Meilensteinen, sondern auch eine flexible Anpassungsfähigkeit jenseits starrer Wasserfallmodelle.
Standardisierung ist erforderlich
Ein wichtiger Schritt ist die Bewegung hin zu standardisierten Lösungen. Unikliniken sind die individuellen Giganten der Branche, die historisch gesehen hochgradig angepasste Systeme entwickelt haben. Sie stehen nun vor der Herausforderung, auf standardisierte Prozesse umzustellen. Dies ist einerseits effizienter und kostengünstiger, erfordert jedoch andererseits Anpassungen in Prozessen und in der gesamten Organisationskultur. Angesichts der Komplexität und der spezifischen Anforderungen von Unikliniken ist die Entwicklung neuer Standards für die IT-Systeme ein kritischer Punkt und ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Standards vereinfachen nicht nur die Implementierung neuer Systeme, sondern auch den laufenden Betrieb und die Wartung. Sie ermöglichen eine konsistente Datenhaltung, transparente Prozesse und unterstützen die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen und Einrichtungen, was für die patientenübergreifende Versorgung zunehmend wichtig wird.
Einmal definierte Prozesse, wie die Gestaltung eines Arztbriefs, die Dokumentation von Anamnesen und Konsilanfragen, sollten idealerweise auf alle Kliniken übertragbar sein. Dies spart nicht nur Zeit und Kosten in der Entwicklung, sondern auch in der Schulung und Implementierung.
Die Schaffung und Implementierung dieser Standards ist ein fortlaufender Prozess und erfordert eine klare Vorgabe der Klinikleitung und der Führungskräfte.
In der Umstellung von Unikliniken auf neue Klinikinformationssysteme wird also deutlich, dass eine Standardisierung nicht nur in der Prozesssicht, sondern auch im gesamten Einführungsvorgehen dringend erforderlich ist. Diese Standardisierung ist entscheidend, um die Komplexität der Projekte handhabbar zu machen und eine konsistente Qualität der medizinischen Dokumentation und Patientenversorgung zu gewährleisten.
„Eine kooperative Strategie, bei der Unikliniken sich zusammenschließen, um gemeinsame Standards zu definieren, das wäre genial.“
Dies könnte neben der Standardisierung von Behandlungsprozessen beispielsweise die Standardisierung von Arztbriefen, Anamnesen und anderen klinischen Dokumenten umfassen, um die Effizienz zu steigern und die Qualität zu sichern. Solche Standards würden nicht nur die interne Arbeit erleichtern, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken verbessern.
Die Bildung eines Standards ist meines Erachtens also eine strategische Notwendigkeit, die die Grundlage für zukünftige Innovationen und Verbesserungen in der Patientenversorgung bildet.
Integration in bereits laufende Projekte und Programme
Die Steuerung der Ressourcen, insbesondere in großen IT-Abteilungen, die multiple Systeme und Projekte betreuen, ist eine weitere Herausforderung. Diese Abteilungen sind oft gleichzeitig in andere strategische Projekte involviert, wie beispielsweise die noch laufenden KHZG-Projekte (Krankenhauszukunftsgesetz).
Für diese Ressourcensteuerung ist ein Projektportfolio-Management in den Kliniken unerlässlich.
Schulungskonzept und Personalentwicklung
Ein zentraler Aspekt der Projektumsetzung ist die Schulung aller Mitarbeitenden. Die Frage, welches Schulungskonzept angewandt werden soll, ist dabei nicht trivial. Es gilt, ein Konzept zu wählen, das nicht nur effektiv, sondern auch nachhaltig ist, um sicherzustellen, dass das Personal auch nach Projektabschluss kompetent mit dem neuen System arbeiten kann. Darüber hinaus müssen wir das richtige Personal für die Leitung und Durchführung des Projekts auswählen. Neben einer umsichtigen Planung braucht es auch Mut zur Innovation und eine starke Projektführung.
In solchen Großprojekten gibt es nicht nur professionelle Projektmanager, sondern viele Teilprojektleiter, deren fachliche Expertise um Projektmanagement-Know How ergänzt werden muss. In meinem eigenen E-Learning-Kurs vermittle ich genaue diese erforderlichen Grundlagen im Healthcare IT-Projektmanagement, die für diese Aufgaben benötigt werden. Ich plane, diese Lerninhalte regelmäßig zu überprüfen und anzupassen, um sicherzustellen, dass sie den Bedürfnissen der Unikliniken entsprechen und effektiv zur Schulung der Mitarbeitenden beitragen.
Herausforderungen im Key User Konzept
Ein kritischer Aspekt dieser Großprojekte ist das Management der Key User während der Testphase. Je nach Uniklinik sprechen wir von 50-100 Kliniken, Zentren und Instituten, in denen die Prozesse durch alle relevanten Berufsgruppen getestet werden müssen. In dieser Phase sind hunderte von Key-Usern zu organisieren und Tests, Anpassungen und Rückmeldungen zu steuern. Durch die bisher sehr heterogenen Prozesse innerhalb einer Uniklinik, muss in der Testphase das System klinikspezifisch durch die Key-User getestet werden.
Führungs- und Change-Management
Die Umstellung auf ein neues Klinikinformationssystem ist nicht nur eine technische, sondern auch eine tiefgreifende organisatorische Veränderung, die effektives Führungs- und Change-Management erfordert.
Rolle des Führungsverhaltens
Als Führungskraft ist die Aufgabe im Projektmanagement, die Vision und die Ziele der Umstellung klar zu kommunizieren und das gesamte Team auf diese Ausrichtung einzuschwören. Gerade in großen Transformationsprojekten, wie der Einführung eines neuen KIS in Unikliniken, ist ein starkes, entschlossenes und zugleich empathisches Führungsverhalten entscheidend. Es geht darum, nicht nur Anweisungen zu geben, sondern auch zuzuhören, Unterstützung zu bieten und auf die Bedürfnisse und Ängste der Projekt-Mitarbeiter einzugehen.
Strategien für effektives Change-Management
Change-Management in Unikliniken ist besonders herausfordernd, da diese oft als "Königreiche" mit vielen autonomen Abteilungen und Spezialbereichen agieren. Jede Klinik hat ihre eigenen Abläufe und Kulturen, was die Standardisierung und Harmonisierung erschwert.
Es ist dabei wesentlich, meinungsbildende Klinikdirektoren und Abteilungsleiter als Botschafter der Veränderung zu gewinnen. Nur wenn wesentliche Schlüsselpersonen die Veränderungen mittragen und vorantreiben, kann das Projekt erfolgreich umgesetzt werden.
Umsetzung des Change-Managements
Die Implementierung eines Change-Management-Plans ist über die gesamte Projektlaufzeit erforderlich. Regelmäßige Informationsveranstaltungen, Kommunikation in zentralen Gremien, Mitarbeiterinformationen zum Projektfortschritt, Schulungen und Feedback-Sessions, u.v.m. gehören mit dazu.
Hierbei ist es wichtig, alle betroffenen Berufsgruppen einzubeziehen und sicherzustellen, dass sie die notwendigen Informationen und Schulungen erhalten, um mit dem neuen System effektiv arbeiten zu können. Das Verständnis und die Akzeptanz der Veränderungen auf allen Ebenen der Organisation zu fördern, ist ein kritischer Erfolgsfaktor für das Projekt.
Meine persönlichen Erfahrungen
In meiner Rolle als Beraterin und Projektmanagerin bei der Umstellung auf neue Klinikinformationssysteme habe ich umfangreiche Erfahrungen gesammelt, die ich gerne teile, um anderen bei ähnlichen Herausforderungen zu helfen.
Aktuell unterstütze ich beispielsweise das Projektmanagement für ein KIS-Projekt einer Uniklinik in der Führung der Projektteams und im kontinuierlichen Dialog mit den wesentlichen Stakeholdern.
Die Zusammenarbeit mit den Teams vor Ort und die gemeinsame Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen, von technischen Details bis hin zu organisatorischen Anpassungen, bestärken mich in meiner Überzeugung, dass solche Großprojekte nicht nur exzellente Projektsteuerung und technisches Know-how erfordern, sondern auch eine tiefgehende menschliche Komponente. Die Fähigkeit, Menschen zu verbinden, zu motivieren und durch Veränderungen zu führen, ist letztlich das, was solche Projekte erfolgreich macht.
So möchte ich alle Erfahrung und gewonnenen Erkenntnisse für die Entwicklung eines Standards weitergeben und damit auch meinen Teil zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen.
Sie haben Fragen zu Großprojekten oder der aktuellen Umstellung von SAP IS-H?
Kontaktieren Sie mich gerne unter info@beratung-katja-schaefer.de.